Sonntag, April 15, 2007

Mein 30. Buch im Jahre 2007

wird das folgende sein - ich wollte wieder einmal was "Österreichisches" lesen:

Erika Pluhar:

Am Ende des Gartens

Erinnerungen an eine Jugend

Neue Zürcher Zeitung: Ganz gefällt's einem nie
Erika Pluhar blickt zurück
Keine Grenze, befand Karl Kraus, verleite so sehr zum Schmuggeln wie die Altersgrenze. Erika Pluhar bildet unter den vielen Schmugglern eine rühmliche Ausnahme. Macht sich manch einer gern um ein Stück jünger, als er ist, so gibt sie sich über die Masse gereift, erfahren und geläutert. Und da, wer sich zu vorgezogener Altersweisheit berufen fühlt, gern von der Jugend schwärmt, gedenkt sie neuerdings der Zeiten, in denen sie sich frech und unbekümmert geben konnte, weil sie 'n Mädchen war. Beinahe «ausser Konkurrenz» unter ihren Altersgenossen nahm sie sich jüngst bei einem vom ORF initiierten «Klassentreffen» eines besonders ertragreichen Jahrgangs des Max-Reinhardt-Seminars aus. Da sass sie – ergraut unter ewig Blonden – zusammen mit solch unentbehrlichen Serien-Stars wie Senta Berger, Heidelinde Weiss und Klaus Wildbolz, hatte für all den eitlen TV-Glamour nur ein müdes Lächeln übrig und wirkte fast entrückt in ihrer Sehnsucht nach dem Wahren, Schönen und Guten. Nur noch singend, textend und schreibend – tat sie kund – werde sie sich uns zur Freude verwirklichen und bekräftigte den bereits vollzogenen Abschied vom versklavenden Rollenfach.
Und sie meint es ernst: Im letzten Jahr erklärte sie uns die Biographie der Marisa Mell als ein tragisches Frauenschicksal, nun blickt sie versöhnlich und kritisch zugleich auf die eigene Kindheit und Adoleszenz zurück. Erika Pluhar gehört zu den Menschen, die schreiben, weil ihnen etwas fehlt. Und weil der im Wiener Arbeiterbezirk Floridsdorf aufgewachsenen Tochter eines Nazi-Mitläufers immer etwas gefehlt hat, wäre sie zur Schriftstellerin geradezu prädestiniert gewesen. In das «schwarze Buch», in dem die junge Theater-Elevin Gerichtstag über sich und andere hält, notiert sie unter anderem das schöne Bibelwort: «Feuer auf die Erde zu werfen, bin ich gekommen, und was will ich anders, als dass es brenne?» Dass offenbar keiner so recht dem Wunsch der anmutigen und verträumten jungen Dame entsprechen konnte, dürfte – auf einen Nenner gebracht – das Hauptproblem ihrer Jugendjahre gewesen sein. Sie ist damals unglücklich in einen Dominikanerpater verliebt, aber auch mit ihrem Schauspielerberuf hadert sie bereits. «Ganz g'fallt's einem nie», die Erfahrung einer älteren Kollegin macht sie sich bald selbst zu eigen. Sie lernt die Eitelkeit der Schauspieler kennen, erduldet die Dressur der Regisseure und ist von den Dramatis personae des täglichen Lebens stets ein wenig enttäuscht. Dennoch: Der Weg zum Theater ist durch Talent, Ehrgeiz und Disziplin vorgezeichnet. Als sie in der Schule das Märchen «Zwerg Nase» dramatisiert, sind alle von ihrem Können begeistert. «Zwerg Nase», das war's gewesen. Das wurde freudig und selbstvergessen erschaffen.
Die Melancholie darüber, dass es nicht so weiterging, dass sie sich in ihrer Kreativität mehr und mehr den äusseren Zwängen beugen musste, prägt diese Erinnerungen, deren Offenheit sympathisch anmutet. «Der Glanz ihrer Kindheit brach plötzlich», heisst es dann in solchen Kernsätzen. Erika Pluhar schreibt über sich in der dritten Person, ein löblicher Versuch, ihre eigene Geschichte zu objektivieren. Dass sie dabei oft der modischen Versuchung erliegt, die Menschheit in arme, aufopferungsvolle Heroinen und ignorante, unsensible Machos auseinanderzudividieren, sei ihr nachgesehen. Wie leicht lässt sich's doch über «Männerleben» urteilen, wenn man sich nicht näher auf sie einlässt. Dass sie die Männer im «Einzelfall» denn doch viel zu sehr mag, zeigt sich anhand der Passagen über ihre Jahre mit Udo Proksch. Wie leicht wäre es gewesen, den «Lucona»-Versenker und Österreichs prominentesten Häftling ein weiteres Mal zu moralisch zu verurteilen. Erika Pluhar schildert ihn uns als einen interessanten, widersprüchlichen Menschen, der an seiner eigenen Genialität scheiterte.
Hans Christian Kosler

Keine Kommentare: